„Holz schafft eine behagliche Atmosphäre, die die Arbeitsumgebung attraktiver macht“
Die Timber Factory ist Münchens erster Gewerbe-Campus in Holz-Hybrid-Bauweise und das größte Holzbauprojekt der Landeshauptstadt. Was aber wird die zukünftigen Mieter hier erwarten? Architektin Karin Schmid des Münchner Büros 03 Arch. GmbH liefert erste exklusive Einblicke.
Dieser Campus punktet mit klimafreundlicher Holz-Hybrid-Bauweise und einem Energiekonzept aus verschiedenen regenerativen Energiequellen wie Wärmepumpen oder Photovoltaikanlagen, die den CO2-Fußabdruck minimieren. Und: Die Energieversorgung erfolgt ohne fossile Brennstoffe.
Das sind gewiss die besonders zeitgemäßen Alleinstellungsmerkmale der gerade im Bau befindlichen Timber Factory in München. Und in seiner Gesamtheit kann dieser von UBM Development und ARE Austrian Real Estate entwickelte Gewerbe-Campus somit als Münchens erster Gewerbe-Campus in Holz-Hybrid-Bauweise und mit insgesamt rund 59.500 Quadratmetern Bruttogrundfläche als größtes Holzbauprojekt der Landeshauptstadt wahrlich punkten. Schließlich rückt ihn dieses ausgeklügelte Nachhaltigkeitspaket gerade im Hinblick auf die von größeren Unternehmen bald zu erfüllenden ESG-Kriterien besonders ins Rampenlicht.
Für das städtebauliche Konzept wurden vom Bauherrn die Architekten des Münchner Büros 03 Arch. GmbH beauftragt, federführend dabei ist Prof. Karin Schmid. Wir haben mit ihr hinter die Kulissen des innovativen Gewerbe-Campus geblickt – bevor er überhaupt fertig errichtet ist.
Fangen wir von vorne an: Wie ist dieses außergewöhnliche städtebauliche Konzept der Timber Factory überhaupt entstanden?
Karin Schmid: Moosach ist traditionell ein Arbeiterquartier, das seine Identität als Industriestandort und Heimat von produzierendem Gewerbe bezieht. Gegenüber befindet sich auch die Fläche von Meiller Kipper, die bis heute den unmittelbaren Kontext stark prägt und auch die Nachbarschaft beeinflusst. Deshalb war es für uns naheliegend, ein attraktives Angebot auch für einfaches Gewerbe vorzusehen. Gleichzeitig sollte es für die Vermarktung interessant sein, indem wir eine Kombination aus Büroflächen und einfachem sowie höherwertigem Gewerbe anbieten. Dieses Konzept ist in seiner Kombination einzigartig. Die Integration von leichtem Gewerbe bringt diese Art der Nutzung näher an die Innenstadt und erfüllt somit wichtige städtebauliche und wirtschaftliche Ziele.
Brauchen wir denn mehr Durchmischung aus Industrie, Arbeiten und Wohnen im innerstädtischen Bereich?
Karin Schmid: Auf alle Fälle! Ich denke, dass wir in vielen Städten oft mit Leerstand innerhalb des Stadtgebietes zu kämpfen haben. Gleichzeitig wandert zunehmend zum Teil auch produzierendes Gewerbe in die Umlandgemeinden ab. Um diese Flächen wieder zu beleben, ist es ein hervorragender Weg, das produzierende Gewerbe in die Stadt zurückzuholen. Das bringt mehr Leben in die Innenstädte. Im 19. Jahrhundert war es völlig normal, dass Wohnen und Arbeiten nebeneinander existierten. Die Stadt profitierte davon durch kurze Wege und ein lebendiges Stadtleben.
Zudem ist die verkehrliche Infrastruktur der Stadt dafür gut geeignet: wenn Menschen draußen wohnen und mit dem Auto zur Arbeit pendeln erzeugen wir sehr viel unnötige Mobilität. Wenn wir nun die Produktion wieder ein Stück weit in die Stadt holen, profitieren wir von den mit dem ÖPNV gut erschlossenen Flächen, die häufig brachliegen oder untergenutzt sind.
Das Stapeln von Gewerbe ist zudem wegweisend und auch ökologisch, weil es einen geringeren Footprint hat und weniger Fläche versiegelt wird!
In diesem Fall werden innerhalb des Campus zusätzlich Gewerbe und Büro miteinander vermischt. Warum?
Karin Schmid: In diesem dichten Nebeneinander steckt viel Potenzial, das sich gegenseitig befruchten kann. Wenn wir an Leichtindustrie denken, könnte es auch den Wunsch geben, im selben Haus Büroflächen anzubieten. Wir sind flexibler im Angebot der Räume, um unterschiedliche Mieterwünsche zu berücksichtigen. Auch erlaubt das hohe Maß an Dichte das Angebot zusätzlicher Flächen wie Einkaufsmöglichkeiten oder Cafes.
Nun punktet die Timber Factory vor allem auch durch die Tatsache, als Holz-Hybrid-Bau hochgezogen zu werden. Was spielt noch eine Rolle?
Karin Schmid: Der Holzbau interessiert mich sehr. Ich glaube jedoch nicht, dass wir die Bauwende nur durch den Baustoff Holz herbeiführen können, weil auch hier die Ressourcen endlich sind und im Moment die Nachfrage extrem groß ist. Es wird langfristig unterschiedliche Strategien benötigen. Der Holzbau ist eine davon, aber beispielsweise spielen auch langfristig leistungsfähige Typologien eine wichtige Rolle. Wenn ich an eine Stahlbetonkonstruktion oder an eine Massivholzkonstruktion denke, die auf einen sehr langfristigen Zeitraum betrachtet nutzungsneutrale Räume bieten, kann das ebenfalls nachhaltig sein. Manche Konstruktionen sind besonders geeignet, um flexibel genutzt zu werden, was entscheidend ist. Dann relativiert sich der CO2-Einsatz bei der Erstellung …
Karin Schmid arbeitet, unterrichtet und forscht an der Schnittstelle zwischen Stadt und Architektur. Die Auseinandersetzung mit dem komplexen Zusammenspiel zwischen architektonischem Objekt als raumbildendem Element und übergeordneter Struktur, welche auf kulturellen, politischen und ökonomischen Grundlagen gewachsen ist, beschäftigt sie in allen Maßstäben in Hochschule und Büro – wie positioniert sich die Stadt als kollektives Erlebnis gegenüber den Erwartungen einer medialen Welt an selbstreferenzieller, vermarktbarer Architektur.
Seit 1994/1995 ist sie Partnerin der 03 Arch. GmbH, ab 2016 unterrichtet sie als ordentliche Professorin für Städtebau und Gebäudelehre an der Hochschule München. Karin Schmid forscht zu Verdichtungspotenzialen in urbanen Quartieren, sowie Instrumenten zur Qualitätssicherung im Städtebau und Wohnungsbau im Rahmen der dreifachen Innenentwicklung.
Sie meinen also nutzungsflexible Räume?
Karin Schmid: Genau, weil nichts nachhaltiger ist, als eine möglichst lange Nutzungsdauer von Häusern. Wichtig ist auch die Umnutzung bestehender Bausubstanz. Der CO2-Ausstoß in Deutschland durch den Abbruch von Gebäuden und die dabei verlorene graue Energie ist enorm, etwa 50 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes der Bundesrepublik. Daher müssen wir zukünftig verstärkt über Umnutzung, Aufstockung und Weiterbauen nachdenken.
Aber klappt das immer mit den Umnutzungen?
Karin Schmid: Wenn der politische Wille da ist, ist es in vielen Fällen möglich. Es braucht steuerliche Anreize und Förderung. Auch müssen wir alle vielleicht über Lösungen jenseits üblicher Standards nachdenken. In der Schweiz ist man da schon weiter, dort gibt es beispielsweise Bauteilbörsen und praktizierte Kreislaufwirtschaft im kleinen Maßstab. Wichtig ist es, die richtige Nutzung für ein Bestandsgebäude zu finden und nicht stur an einer vorgegebenen Nutzung festzuhalten. Projektentwickler möchten natürlich Geld und möglichst viele Flächen generieren verdienen, aber das Potenzial der Ressource Bestand ist enorm, gerade auch hinsichtlich atmosphärischer Qualitäten.
Welche Vorteile sehen Sie in der Holzbauweise, vor allem für die tägliche Nutzung durch die Mieter?
Karin Schmid: Ich glaube, dass die späteren Nutzer die Holzbauweise einfach gerne mögen, da Holz eine warme Ausstrahlung hat. Auch wenn man von außen nicht sofort sieht, dass es ein Holzbau ist, weil die Fassade farbig behandelt wird, ist im Inneren viel Holz sichtbar. Die Holzstützen, die Deckenelemente und die Unterzüge aus Holz werden zu sehen sein. Das schafft eine behagliche Atmosphäre, die die Arbeitsumgebung für die späteren Mitarbeitenden attraktiver macht.
Ich kann mir auch vorstellen, dass es zu einer stärkeren Identifikation der Nutzer mit dem gesamten Quartier beiträgt, was in Zeiten des Fachkräftemangels sicherlich einen entscheidenden Vorteil für die dort befindlichen Unternehmen bietet.
Doch die Timber Factory soll nicht bloß durch den Einsatz von Holz auf das Thema Nachhaltigkeit einzahlen, heißt es. Biodiversität wäre ebenso besonders wichtig. Wie wird das Quartier konkret zu diesem Thema beitragen?
Karin Schmid: Im unmittelbaren Kontext des Projekts liegt ein bereits aus einem früheren Bebauungsplan festgesetztes Biotop. Zusätzlich wurden in der Umgebung Zauneidechsen vorgefunden. Ein Verbindungskorridor entlang der Bauberger Straße verbindet dieses Biotop mit dem Projekt. Diese Eidechsenbereiche sind und bleiben wenig zugänglich für die Nutzerinnen und Nutzer, sondern sind den Tieren vorbehalten. Das ist ein wichtiger Aspekt im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit.
Wir versuchen zudem, Flächen zu entsiegeln, Wasser möglichst lokal versickern zu lassen und verwenden offene Beläge. Wir verfolgen die Prinzipien der Schwammstadt, haben große Bäume eingeplant, die für Schatten sorgen und setzen im Inneren des Quartiers keine klassisch urbane, sondern eine naturnahe Gestaltung um. Vielleicht haben Sie die Pläne gesehen: Wir haben versucht, gestalterisch das Prinzip der Ruderalflächen ins Quartier zu bringen. So wird das Prinzip der Biodiversität auch sichtbar gemacht. Das bedeutet, keine gepflasterten Plätze mit Bäumen, sondern eine Integration von Biodiversität in das Quartier.
Können Sie das Prinzip der Ruderalflächen bitte genauer erklären?
Karin Schmid: Es handelt sich um Freiraumstrukturen, die klassisch oft auf Schotter- oder Kiesflächen entlang von Gleisen entstehen und im Bestand auch entlang der nördlich gelegenen S-Bahn-Trasse zu finden sind. Unsere Freiraumplanung (Studio Vulkan Landschaftsarchitekten) setzt dies fort und hat beispielsweise organische Wegeverbindungen, die nicht vollständig asphaltiert sind, sondern offene, poröse und kiesige Strukturen aufweisen. Auch die Bepflanzung ist darauf abgestimmt und entspricht einer natürlichen Entwicklung, wie sie entlang von Bahnstrecken vorkommt. Das ist gestalterisch besonders und hebt sich von herkömmlichen städtischen Planungen ab.
Interview: Franziska Kegel
Bilder: Andreas Hackl