„Holz hat sich seit Jahrhunderten bewährt“
Ist der Baustoff Holz tatsächlich die Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts? Und wo liegen die Grenzen des modernen Holzbaus? Der „Holzpapst“ Hermann Kaufmann kennt die Antworten. Kaufmann zeichnet im Team mit 03 Arch. für die Architektur der von UBM Development und ARE Austrian Real Estate entwickelten Timber Factory verantwortlich.
Sowohl Hermann Kaufmann als auch Martin Löcker wurde der Werkstoff Holz buchstäblich in die Wiege gelegt. Der eine wuchs als Sohn einer Zimmermannsfamilie im Bregenzerwald auf, der andere ist gelernter Tischler, stammt aus einer Familie von Waldbauern aus der Steiermark und ist Group Head of Development der CA Immo. Kaufmann arbeitete schon von klein an in der elterlichen Zimmerei mit. Eine perfekte Grundlage für ein ausführliches Gespräch zum Thema Holz!
In der Immobilienwirtschaft ist Nachhaltigkeit das Gebot der Stunde. Was macht eigentlich eine nachhaltige Immobilie aus?
Hermann Kaufmann: Der Hauptfokus von Nachhaltigkeit ist der sorgsame Umgang mit Rohstoffen und Energie. Es geht um die Minimierung von Energie- und Materialverbrauch bei der Erstellung und um die Minimierung des Energieverbrauchs im Betrieb. Es geht aber auch um die soziale Nachhaltigkeit. Uns Architekten ist dann auch noch die Architekturqualität besonders wichtig, weil wenn die hoch ist, ist die Lebensdauer des Gebäudes entsprechend lang. Schließlich soll natürlich schadstoffarm gebaut werden, und die Gebäude sollen auch wieder rückbaubar sein.
Martin Löcker: Der Begriff Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft, wo der Baum, den du heute pflanzt, von der nächsten oder übernächsten Generation geerntet wird und alles, was du erntest, vor 60 und mehr Jahren gepflanzt wurde.
Umgelegt auf die Immobilien, heißt das, dass unsere Gebäude dann nachhaltig sind, wenn sie jetzt richtig gebaut werden und auch in 30, 60 oder mehr Jahren ihre Berechtigung haben und für den Menschen relevant bleiben. Was macht es also aus? Heute ressourcenschonend bauen, morgen ressourcenschonend betreiben. Übermorgen: aus Sicht der Nutzer, des Stadtraums sowie des sozialen Umfelds attraktiv sein und die Funktion erfüllen. Irgendwann soll es schließlich ressourcenarm in den Stoffkreislauf zurückkehren können. Die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts sind unsere Chance, den ressourcenschonenden, CO2-sparenden und menschlichen Aspekt in den Vordergrund zu bringen.
Kaufmann: Um es etwas profaner auszudrücken – das Klima hat uns jetzt endlich den ersten Tritt in den Arsch gegeben. Jetzt kann man fast nicht mehr anders, als auf diesen Zug aufzuspringen.
Das Bauen von Holzhochhäusern ist ungefähr so sinnvoll, wie Formel 1 zu fahren. Aber wie in der Formel 1 sind die Weiterentwicklungen entscheidend.
Hermann Kaufmann, Architekt
gilt als Pionier der Holzkonstruktion und und wird oft als „Holzpapst“ tituliert. Wie kaum ein anderer hat der Sohn einer alteingesessenen Zimmermannsfamilie aus der Holzregion Vorarlberg den konstruktiven Holzbau vorangebracht. Seit der Gründung seines Büros HK Architekten in Schwarzach 1983 hat er mit seinem Team in Europa und Übersee zahlreiche Holzbauprojekte realisiert.
Löcker: Dazu kommt, dass der europäische Green Deal mit der Taxonomie-Verordnung und die neue Corporate Sustainability Reporting Directive ganz massiv die Finanzströme in Richtung Nachhaltigkeit lenken. Das macht uns Wirtschaftstreibende doppelt so kreativ und doppelt so schnell.
Ist der Baustoff Holz tatsächlich die Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts?
Kaufmann: Wenn der Hauptmassebaustoff eines Gebäudes durch einen nachwachsenden Rohstoff, also durch Holz, ersetzt wird, hat das unmittelbar einen positiven Effekt auf die CO2-Bilanz und auf den Ressourcenverbrauch. In Mitteleuropa schwimmen wir buchstäblich in Holz. Daher liegt es auf der Hand, dass dieses Material zuerst stofflich umgesetzt wird, bevor es in Hilfsprodukten wie Papier verschwindet oder gar verbrannt wird, wodurch das in ihm gebundene CO2 wieder entweicht.
Löcker: Ein Gebäude durchlebt normalerweise drei Phasen – Bau, Nutzung und Abbruch. Für den nachhaltigen Bau gilt: Wenn wir die größte Masse des Baumaterials durch ein nachwachsendes und CO2-positives Material – also Holz – ersetzen, haben wir hier den größten CO2-Hebel. Holz erfüllt fünf der sechs in der EU-Taxonomie festgeschriebenen Kriterien. Das kann sonst kein anderer Baustoff. Holz zwingt uns geradezu, in höherer Vorfertigung und Systematisierung zu arbeiten, was zusätzlich Ressourcen schont. Bei der Nutzung und dem Betrieb von Gebäuden trägt Holz allerdings nichts zur Ressourcenschonung bei. Dort setzen wir bei der UBM auf erneuerbare Energien und geringen Verbrauch. Für Heizung, Kühlung und Versorgung insbesondere auf Geothermie und Photovoltaik. Wir arbeiten sehr intensiv daran, „smarte“ Gebäude zu errichten, die grundsätzlich weniger Energie und Ressourcen verbrauchen. Und zum Dritten setzen wir ganz klar weiterhin auf Green-Building-Zertifizierungen. Damit ist für unsere Kunden transparent und nachvollziehbar, welche Qualität unsere Gebäude und Entwicklungen haben.
ESG, Taxonomie und der Green Deal der EU geben hier wohl den Takt an.
Löcker: Das Thema gewinnt enorm an Relevanz. Einerseits müssen wir den CO2-Fußabdruck unserer Gebäude in der Errichtung nachweisen, und andererseits beginnen unsere Kunden – die Nutzer der Wohnungen ebenso wie die Mieter von Büros –, Fragen zu stellen. Wie entsteht das Gebäude eigentlich? Was habt ihr für den Klimaschutz getan? Sind eure Lieferketten in Ordnung, und welche Baustoffe verwendet ihr? Unsere anderen Kunden wiederum, die Investoren, fragen nicht nur danach, sondern verlangen auch Nachweise.
Holz als Baustoff für große konstruktive Aufgaben hat sich seit Jahrhunderten bewährt.
Martin Löcker, Group Head of Development der CA Immo
Martin Löcker war COO der UBM Development AG und ist gelernter Tischler. Der gebürtige Steirer hat an der Technischen Universität Graz Wirtschaftsingenieurwesen/ Bauwesen studiert und an der European Business School in München einen postgradualen Abschluss in Immobilienökonomie erworben. Ab 2007 hatte er diverse Führungspositionen im UBM-Konzern inne und verantwortete bis Ende 2023 das operative Geschäft. Anfang 2024 übernahm Löcker als Group Head of Development die Verantwortung für alle Entwicklungs-, Bau- und Technik-Aktivitäten der CA Immo Gruppe.
Wirklich neu ist der Holzbau ja nicht.
Löcker: Der Holzbau hat eine extrem lange Tradition, insbesondere in Mitteleuropa und in Skandinavien. Wenn man sich Dachstühle von gotischen Kirchen ansieht – da sind vor Jahrhunderten richtige Ingenieurkunstwerke entstanden!
Auch Kanada und die nördlichen US-Bundesstaaten haben eine lange Holzbautradition. 1905 wurde zum Beispiel in Vancouver mit dem Landing Building ein siebengeschossiges Bürogebäude in Holz errichtet. Einige dieser Gebäude – immerhin bis zu neun Stockwerke hoch – sind heute noch in der Funktion. Holz als Baustoff für große konstruktive Aufgaben hat sich seit Jahrhunderten bewährt.
Kaufmann: Ich bin immer wieder ganz ergriffen, wenn ich im süddeutschen Raum diese mittelalterlichen Lagerhäuser sehe, die an die acht Geschosse haben. Mit dem Holzbau entdecken wir im Prinzip gerade etwas wieder, was wir eigentlich schon längst wissen.
Wo hat der moderne Holzbau seine Grenzen?
Kaufmann: Bei bestimmten Anforderungsprofilen ist der Einsatz von Holz schwierig. Es ist uns zum Beispiel nicht gelungen, ein Laborgebäude in Holz zu errichten, weil es dort extrem schwingungsarme Decken braucht. Da hat der Baustoff Holz schon seine Grenzen. Aber die Grenzen werden immer weiter gesteckt.
Löcker: Natürlich kommt man im Einsatz von Holz da und dort an seine Grenzen, die aber im Moment in der Genehmigungslage zu finden sind und nicht in der technischen Machbarkeit. Wir sollten Holz dort einsetzen, wo es auch wirklich seine Stärken hat: Holz ist auf Zug und Druck belastbar, es ist leicht, es ist in Außenwänden und in Innenwänden tragend wie nicht tragend einsetzbar und hat bei den Außenwänden sogar den Vorteil, dass man mit Holz Nutzfläche gewinnen kann. Nicht ideal ist Holz hingegen im Zusammenhang mit Feuchtigkeit, bei hohen akustischen Beanspruchungen und starken Schwingungsbeanspruchungen. Wenn man diese drei Schwachpunkte berücksichtigt, kann man Holz fast überall einsetzen.
Kaufmann: Ein ganz wesentlicher Vorteil von Holz ist auch die Möglichkeit der Vorfertigung und das schnelle und sichere Bauen.
Löcker: Die Vorfertigung im Holzbau und die damit verbundene Digitalisierung, aber auch die Qualitätssicherung sind ein riesiger Vorteil! Holzbau ist damit ein Katalysator für die Digitalisierung. Aber die Produktion in warmen und trockenen Hallen kann auch eine Antwort auf die Themen Arbeitsbedingungen und Facharbeitermangel sein, die uns auf den Baustellen zunehmend vor große Herausforderungen stellen. Darüber hinaus erfordert der Holzbau wesentlich weniger Transporte und produziert weniger Müll auf den Baustellen, nämlich um bis zu 80 Prozent weniger Transporte und um ebenfalls bis zu 80 Prozent weniger Abfall. Jeder LKW, der nicht in die Innenstadt von Wien oder Frankfurt fahren muss, ist eine Entlastung. Jeder Arbeitsunfall, der nicht passiert, ist ein Gewinn. Und natürlich ist auch jeder Baumangel, der aufgrund der Vorfertigung und der Qualitätssicherung erst gar nicht entsteht, ein Vorteil.
Funktioniert das Entwickeln von Holzbauten gleich wie jenes von Gebäuden in konventioneller Stahl-Beton-Bauweise?
Löcker: Der Ablauf von großen Projekten in Holzbauweise erfordert ein spezielles Know-how. Projektabläufe müssen nicht nur neu gedacht, sondern auch neu umgesetzt werden. Wir als UBM sind intensiv am Holzthema dran und haben jetzt ein ganzes Team an Holzexperten in die UBM aufgenommen. Wir haben in den letzten Jahren eine steile Lernkurve hingelegt und sind sehr froh, dass wir jetzt diese Kompetenzen inhouse haben. Dadurch können wir beim Holzbau von der Konzeption bis zur Umsetzung auch die gewünschte Qualität sicherstellen.
Kaufmann: Der Flaschenhals ist derzeit das Angebot an entsprechenden Fachkräften. Da ist es sicher hilfreich, dass sich die UBM rechtzeitig mit dem Thema auseinandergesetzt hat und es ihr daher wahrscheinlich besser gelingt, die notwendigen Experten an Bord zu holen.
Die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts sind unsere Chance, den ressourcenschonenden, CO2-sparenden und menschlichen Aspekt in den Vordergrund zu bringen.
Martin Löcker, Group Head of Development der CA Immo
Würde mehr in Holz gebaut werden, wenn es mehr Fachkräfte und mehr Spezialfirmen gäbe?
Kaufmann: Das ist definitiv so. Wenn diese Branche total fit und leistungsfähig wäre, würde viel mehr in Holz gebaut werden. Die UBM ist da im Moment sicher ein Pionier an vorderster Front, sie weiß genau, wer was anbietet und mit wem man reden kann und mit wem nicht.
Löcker: Ein Engpass sind im Moment sicherlich die Kapazitäten der ausführenden Unternehmen. Man sieht aber auch, welche Engpässe es dann relativ rasch nicht mehr gibt. Vor einem Jahr haben alle darüber gesprochen, dass der Holzpreis explodieren und Holzbau nicht mehr leistbar sein wird. Das ist nicht passiert. Der Holzpreis hat sich nach einer spekulativen Phase wieder auf ein Niveau eingependelt, auf dem der Rohstoff zu einem sinnvollen Preis erhältlich ist.
Fast monatlich werden im Holzbau neue Rekorde gebrochen, es wird immer höher gebaut, längst werden Holzhochhäuser mit mehr als 100 Metern Höhe geplant. Wohin geht hier die Reise?
Kaufmann: Das Bauen von Holzhochhäusern ist ungefähr so sinnvoll, wie Formel 1 zu fahren. Aber wie in der Formel 1 sind auch im Holz-Hochhausbau die Weiterentwicklungen entscheidend. Sobald man merkt, hoppla, mit dem Baustoff Holz können wirklich große Objekte gebaut werden, wird er für etwas kleinere Objekte umso attraktiver.
Löcker: Die Vision ist, in Mitteleuropa die urbane Verdichtung und die urbane Weiterentwicklung mit dem Baustoff des 21. Jahrhunderts zu bauen, mit Holz.
Der sinnvollste Einsatz von Holz ist sicher unterhalb der jeweiligen Hochhausgrenze, in Gebäuden bis zu 50 Meter Höhe ist Holz der richtige Baustoff. Wenn wir dieses Potenzial ausschöpfen, dann sind wir als Projektentwickler im nächsten Jahrzehnt mehr als genug beschäftigt. Eines ist klar – wir können mit dem Holzbau nicht die Welt retten. Aber wir haben mit ihm den größten Hebel als Developer in der Hand. Und wenn wir diesen Hebel so weit bewegen, wie wir ihn bewegen können, dann haben wir extrem viel erreicht.
Ist der moderne Holzbau gekommen, um zu bleiben?
Kaufmann: Wenn wir vernünftig mit unseren Holzressourcen umgehen und Holz nicht verbrennen und nicht verschleudern, sondern stofflich umsetzen, dann wird der Holzbau bleiben.
Löcker: Holz ist der Baustoff des 21. Jahrhunderts. Er war auch schon der Baustoff vieler anderer Jahrhunderte und ist dann ein Jahrhundert etwas in den Hintergrund gerückt. Aber jetzt ist Holz wieder da – und bleibt da!
Moderation: Karl Abentheuer
Fotos: Philipp Horak, Lisa Dünser, privat