Ein Markstein in den Pyrenäen
Anspruchsvolle Architektur findet immer öfter den Weg ins Hochgebirge. In den Pyrenäen entsteht die Refuge de Barroude, eine Schutzhütte nach den Plänen des Architekturbüros Snøhetta, die neue Maßstäbe für das Bauen im hochalpinen Raum setzt.
Der Brauch, in steilem Gelände und im Hochgebirge Steinmännchen zu errichten, findet sich in vielen Teilen der Erde. Sie dienen zumeist als Wegweiser im unwegsamen Gelände, bisweilen markieren sie auch Gefahrenstellen an Flüssen. Die kleinen Türmchen sind außerdem Ausdruck der Gemeinschaft und der Naturverbundenheit, denn sie entstehen, indem Wanderer, die passieren, einen Stein hinzulegen. Dabei wird immer Material verwendet, das sich in unmittelbarer Umgebung des Platzes finden lässt.
Auf diese Cairns, wie sie im Englischen genannt werden, beruft sich das norwegische Architekturbüro Snøhetta in seinem Entwurf für die geplante Refuge de Barroude. Die neue Schutzhütte im französischen Teil des Nationalparks Pyrenäen soll die alte ersetzen, die vor rund zehn Jahren nach einem Blitzschlag abgebrannt war.
Bauen im hochalpinen Raum
Als Bauwerk in einer Landschaft, die zum UNESCO Welterbe zählt, war ein minimaler Fußabdruck von entscheidender Bedeutung. Die Wahl der Baumaterialien fiel daher auf Stein, wiederverwendetem Holz und recyceltem Aluminium. Das Fundament bildet Gestein aus der Umgebung, wodurch sich die Hütte „perfekt in den bergigen Kontext einfügt und die Authentizität der Landschaft wahrt“, wie es vonseiten des Büros heißt.
Zudem stärke das heimische Gestein die Verbindung zur Region und senke den CO2-Fußabdruck, der beim Transport von Baustoffen entsteht. Der Link zu den Steintürmchen, die die Wanderwege entlang der Haute Route Pyrénéenne säumen, ist damit hergestellt.
Das Ziel ist nicht nur, die Verwendung von kohlenstoffarmen Materialien zu fördern, sondern auch eine möglichst hohe Vorfertigung der Struktur zu erreichen.
Snøhetta, Architekturbüro
Der geringe ökologische Fußabdruck ergibt sich auch für das Tragwerk aus Holz, das sich durch sein geringes Eigengewicht besonders gut für das Bauen im hochalpinen Raum eignet. „Das Ziel ist nicht nur, die Verwendung von kohlenstoffarmen Materialien zu fördern, sondern auch eine möglichst hohe Vorfertigung der Struktur zu erreichen“, erklärt Snøhetta. „Dies reduziert das Gewicht, die Montagearbeiten vor Ort und die erforderlichen Hubschrauberfahrten für den Transport.“
Architektur in Hochform
Dass Schutzhütten im Hochgebirge immer öfter auch einen hohen architektonischen Designanspruch verkörpern, das haben zuletzt die Voisthalerhütte am Hochschwab und die Berghütte Oberholz in den Eggentaler Dolomiten eindrucksvoll bewiesen. Der Entwurf für die neue Barroude-Schutzhütte steht dem in nichts nach.
Durch das begrünte Dach scheint es, als würde das Gebäude direkt aus dem Hang wachsen. Von so manchem der Dreitausender ringsum wird die Hütte vermutlich nur schwer auszumachen sein, während die dem Aufstieg zugewandte Seite mit ihrer spiegelnden Aluminiumfassade schon von weitem zu sehen sein wird.
Die gute Sichtbarkeit des Zufluchtsortes auf über 2.300 Metern Seehöhe ist nicht zuletzt auch der Sicherheit der Wanderer geschuldet.
In diesem grandiosen Setting, in dem sich die menschliche Präsenz zurücknehmen muss, erzielt das Konzept eine feine Balance zwischen Integration und Sichtbarkeit.
Snøhetta, Architekturbüro
Diese Dualität zwischen den entgegengesetzten Absichten – dem Verschmelzen mit der Umgebung auf der einen und dem Abheben von ihr auf der anderen Seite – ist der Kern des Konzeptes. Snøhetta schreibt dazu: „In diesem grandiosen Setting, in dem sich die menschliche Präsenz zurücknehmen muss, erzielt das Konzept eine feine Balance zwischen Integration und Sichtbarkeit.“
Nutzung der vorhandenen Topographie
Als weiteren Schlüsselbegriff neben dem Steintürmchen nennt das Büro den französischen Ausdruck Terrier, der einen Tierbau bezeichnet. Er steht für Schutz, Wärme und Geborgenheit. Die organische Form der Hütte, die sich in das bestehende Gelände schmiegt, ist daran angelehnt. Ihre kompakte Struktur minimiert die Fassadenflächen, die der Witterung ausgesetzt sind, und reduziert gleichzeitig den Heiz- und Kühlbedarf des Gebäudes.
Das Energiesystem basiert auf Solar- und Biomasseheizungen, eine PV-Anlage liefert Strom, um „die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren“, wie es heißt. Das Trinkwasser liefert eine nahegelegene Quelle, und das Abwasser wird gefiltert, sodass die Umwelt nicht beeinträchtigt wird.
Die neue Hütte soll am Standort der Vorgängerhütte errichtet werden, auf einer Fläche, die sich außerhalb der Schutzzone für Flora und Fauna befindet. „Die Position wurde sorgsam ausgewählt, um die vorhandene Topographie zu nutzen und zwei Ebenen zu schaffen, ohne dass übermäßige Erdarbeiten nötig sind.“
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Snøhetta