Ein Bürohaus vom Band
Das Bürogebäude ZERO, das derzeit in Stuttgart entsteht, ist ein seriell gefertigter Holz-Modulbau, der bei der Gebäudetechnik passive physikalische Effekte nutzt. Neu für ein Multi-Tenant-Investoren-Projekt ist die gemeinschaftliche Nutzung von Flächen und Services.
Fliegende Module über Stuttgart!“, war vor rund drei Wochen auf dem Projektaccount von ZERO zu lesen. Dass es sich dabei nicht um die Sichtung unbekannter Flugobjekte handelte, machten die Bilder dazu klar. Ein Kran hob einbaufertige Holzmodule samt Fenster und Anschlussöffnungen von einem Lkw auf ein fertiges Fundament. Ein Team von Montagearbeitern setzte die zehn Meter langen Raumabschnitte wie in einem großformatigen Lego zusammen. So entstanden am ersten Tag rund 300 Quadratmeter Mietfläche für das Bürogebäude ZERO in Stuttgart-Möhringen, das insgesamt Platz für über 400 Arbeitsplätze bieten wird. Damit ist es der erste Holzbau von dieser Größe in Stuttgart.
Wie bei allen Projekten, die mit dem mehrgeschossigen Holzbau in einer Stadt debütieren, war auf Behördenseite eine Menge Pionier- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn auch wenn in anderen Städten bereits ähnliche Projekte umgesetzt wurden, so werden die bauphysikalischen Verordnungen jedes Mal aufs Neue verhandelt. „Leider fehlt es hier noch an Vernetzung und Wissensweitergabe“, beklagt Niklas Humm, zuständiger Projektleiter bei CPM, der im Auftrag des Entwicklers EEW GmbH für das Projekt- und Baumanagement zuständig ist.
Ein Haus aus der Fertigungsstraße
Mit diesem Pionierprojekt auf dem ehemaligen Hansa-Areal hat man sich jedenfalls viel vorgenommen. Man möchte „die Grenzen des herkömmlichen Bauens überwinden“, wie auf der Projektwebsite zu lesen ist. Was darunter zu verstehen ist, erklärt Humm: „Das herkömmliche Bauen ist sehr fehleranfällig und erzeugt eine Menge Staub, Lärm und Abfall. Bei der modularen Holzbauweise setzen wir auf serielle und kontrollierte Prozesse im Werk. Das bringt die Bauqualität enorm nach vorne.“ Auch die Bauzeit verkürzt sich dadurch, denn ein großer Teil der Einbauten wurde bereits werkseitig vorgefertigt.
Der Entwurf für das fünfgeschossige Bürogebäude kommt vom Stuttgarter Büro Riehle Koeth. Die 286 Holzmodule sind in verzahnter Teamarbeit entstanden. Konzepte und Engineering kommen vom Modulbauspezialisten Kaufmann Bausysteme aus Vorarlberg. Der Modulbau wird partnerschaftlich von der Zimmerei Stark im schwäbischen Auhausen und in der Produktionsstraße von Baumgarten Holzbau in der hessischen Gemeinde Ebersdorf realisiert. Die Partner haben sich zu BS Holzmodulbau zusammengeschlossen.
Viel sichtbares Holz
Dem ZERO sieht man die Holzbauweise schon von außen an. Auffallend sind die nach oben hin leicht auskragenden Geschosse. Auf diese Weise ergibt sich unter anderem ein konstruktiver Holzschutz, der es möglich macht, dass das Holz auch an der Fassade sichtbar bleibt. Während die Außenhüllen bei vergleichbaren Projekten meist keinen Hinweis auf die Holzbauweise geben, ist sie in diesem Fall auf den ersten Blick zu erkennen.
Bei der modularen Holzbauweise setzen wir auf serielle und kontrollierte Prozesse im Werk. Das bringt die Bauqualität enorm nach vorne.
Niklas Humm, Projektleiter bei CPM
Die einzelnen Module sind um zwei begrünte Innenhöfe gruppiert, wodurch viel natürliches Tageslicht in die Arbeitsräume dringt. Recht viel Holz gibt es auch im Inneren zu sehen. Die Stützen und Träger sind aus Brettschichtholz gefertigt, die ursprüngliche Holz-Lamellendecke musste aus brandschutztechnischen Gründen allerdings in Aluminium ausgeführt werden.
„Nicht brennbare Verkleidung“ ist für Projektleiter Humm zum absoluten Reizwort geworden. Nachdem alle Brandschutzauflagen erfüllt sind, bleibt in der Praxis nämlich oft nur wenig vom Holz in den Innenräumen sichtbar. Für ihn ist es das erste Holzbauprojekt, und es hat in ihm die Leidenschaft zum natürlichen Baustoff geweckt. „Das Holz hat einen Wow- und einen Aha-Effekt, der niemanden unberührt lässt.“
Gemeinschaftliche Flächennutzung
Was die Flächennutzung angeht, so basiert das Projekt auf einem effizienten System, das für ein Multi-Tenant-Investoren-Projekt eher ungewöhnlich ist. Das Erdgeschoss wird künftig von allen Büromietern gemeinschaftlich genutzt und betrieben. Konferenzräume, Kantine, Café, Sport- und Fitnessbereiche – das entspricht rund 15 Prozent der Gesamtfläche – stehen allen Nutzerinnen und Nutzern gleichermaßen zur Verfügung.
Die gemeinschaftliche Flächennutzung erhöht die Auslastung und stärkt die Community, was dem sozialen Aspekt im Sinne von ESG nachkommt.
Niklas Humm, Projektleiter bei CPM
Ein Vorhaben, das hinsichtlich Planung und kaufmännischer Entscheidungen sehr herausfordernd sei, wie Niklas Humm zugibt. Die Vorteile für die Nutzer würden aber überwiegen. „Die gemeinschaftliche Flächennutzung erhöht die Auslastung der Räumlichkeiten und spart Ressourcen und Betriebskosten. Abgesehen davon stärkt es die Community, was dem sozialen Aspekt im Sinne von ESG nachkommt.“
Ein natürliches Lüftungssystem
Die Aluminiumrohre, die an zentraler Stelle über die Fassade nach oben führen, sorgen für eine Art Centre-Pompidou-Moment. Dabei handelt es sich um die zentralen Abluftkamine, die zum Teil als Solarkamine funktionieren. „Die Solarkamine, die an der Außenfassade hochgehen, zeigen das energiesparende Lüftungskonzept, und das sollte auch von außen ablesbar sein“, erklärt Humm.
Die Solarkamine, die an der Außenfassade hochgehen, zeigen das energiesparende Lüftungskonzept.
Niklas Humm, Projektleiter bei CPM
Um Energie zu sparen, hat man in den Obergeschossen nämlich auf eine mechanische Lüftungsanlage verzichtet. Stattdessen setzt man auf eine natürliche Belüftung der Geschosse, die auf der Nutzung passiver physikalischer Effekte beruht.
Das Grundprinzip ist einfach erklärt: Durch eine Druck- und Temperaturdifferenz zwischen Innen- und Außenluft entsteht ein natürlicher Kamineffekt, der die Luft nach oben steigen lässt. Nachströmende Luft wird durch Konvektoren vorkonditioniert, bevor sie sich in den Räumen verteilt. Die Wärme und Kälte bezieht man aus einem 400 m³ großen Eisspeicher.
Vorsprung durch weniger Technik
Wäre das Wort unter Developern nicht so verpönt, könnte man auch von „Low-Tech“ sprechen, denn diese Art der Lüftung wurde bereits vor Jahrtausenden genutzt. Im Nahen Osten etwa haben Solarkamine eine sehr lange Tradition. In der zeitgenössischen Architektur gewinnen sie gerade wieder an Bedeutung, da sie im Gegensatz zu Klimaanlagen und mechanischen Lüftungen kaum Strom benötigen. Somit werden auch keine schädlichen Emissionen erzeugt. Es kann also durchaus ein Vorsprung sein kann, wenn man Technik an den passenden Stellen weglässt.
Durch die standardisierte, serielle Produktion ist das Holz-Modulgebäude so etwas wie ein Bürohaus vom Band. Ob in naher Zukunft noch weitere Gebäude vom Stapel laufen werden, kann Humm noch nicht sagen, eines aber ist für ihn klar: „Das ZERO. Stuttgart ist sozusagen die Variante Null. Wir wollen mit dem Projekt Pilotarbeit leisten und mit den Erkenntnissen weitermachen.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: CPM
Visualisierungen: Filippo Bolognese Images