Die organische Schule
Das Büro Dietrich Untertrifaller hat Österreichs ältester Waldorfschule eine zeitgemäße Erweiterung verpasst. Der Neubau komplettiert den Bestand der Rudolf Steiner Schule durch nachwachsende und erneuerbare Materialien: Holz, Lehm, Stroh und Hanf.
Weltweit gibt es 1214 Schulen, in denen nach der Waldorfpädagogik unterrichtet wird. Diese wurde vom Österreicher Rudolf Steiner Anfang des 20. Jahrhunderts begründet und basiert auf der Anthroposophie, einer Weltanschauung, die Naturwissenschaft und Esoterik miteinander verknüpft. Die älteste Waldorfschule Österreichs wurde 1964 gegründet und befindet sich im Maurer Schlössl im 23. Wiener Gemeindebezirk. Gegenüber des Haupthauses, wo die Unterstufe und der Hort in einem kleinen Altbau untergebracht waren, herrschte akuter Raummangel. Weil die Bausubstanz zu wünschen übrig ließ, entschied man sich schließlich für einen Ersatzneubau, der nun auf der Südseite an den Altbau der Rudolf Steiner Schule anschließt.
Der konstruktive Holzbau, der 2024 fertiggestellt wurde, kommt von einem Büro, das in Sachen Schulbau viel Erfahrung mitbringt. Das international tätige Architekturbüro Dietrich Untertrifaller, das ursprünglich in Vorarlberg gegründet wurde, kann auf ein umfangreiches Portfolio an Bildungsbauten verweisen, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gebaut.
Der prestigeträchtigste dieser Bauten ist wohl der TUM Campus im Münchner Olympiapark. Es ist der aktuell größte Holzbau Europas und wurde für den renommierten DAM Preis 2024 nominiert.
Architektur nach Rudolf Steiner
Die Holzbauweise war auch Teil der anthroposophischen Architektur, die rund um die reformpädagogische Bewegung entstanden ist. Nachdem das erste Goetheaneum, der Sitz der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft südlich von Basel, 1923 abgebrannt war, wandte man sich allerdings dem Betonbau zu. Es entstanden skulpturale Bauten mit geometrischen und gerundeten Formen, die bisweilen als Beispiele für organische Architektur herangezogen werden.
Der Neubau verbindet sich harmonisch mit dem historischen Bestand – auf starke Brüche zwischen Alt und Neu haben wir verzichtet.
Dietrich Untertrifaller, Architekturbüro
Nach dem anthroposophischen Ansatz soll Architektur die Gesetzmäßigkeiten der Natur darstellen und nachbilden. Vor allem bei der Gestaltung von Innenräumen achtete man auf natürliche Farben und Materialien. Im Zuge des aktuellen Holzbaubooms, der dem nachhaltigen Bauen geschuldet ist, werden heute auch vermehrt Waldorfschulen in Holzbauweise errichtet.
Biobasierte Materialien
Im Fall der Rudolf Steiner Schuler ist man bei der Wahl der biobasierten Materialien noch einen Schritt weiter gegangen. Der Neubau ist nicht nur in Holzbauweise errichtet, auch der Innenausbau und die Dämmung basieren auf nachwachsenden und natürlichen Rohstoffen. Die rückbaubaren Rippen- und Hohlkastenelemente sind mit Stroh, Holz oder Hanf gedämmt und erfüllen so den Wärmeschutz des Gebäudes.
Diese Baustoffe haben eine niedrige Herstellungsenergie und sind regional verfügbar.
Dietrich Untertrifaller, Architekturbüro
Der Innenausbau der Schulerweiterung erfolgte mit Lehmbauplatten und verputzten Lehmoberflächen, für die das Aushubmaterial vor Ort zum Einsatz kam. „Diese Baustoffe haben eine niedrige Herstellungsenergie und sind regional verfügbar. Ziel war es, weitgehend chemiefreie Innenräume zu schaffen“, heißt es vonseiten des Architekturbüros Dietrich Untertrifaller.
Ein Ensemble aus Alt und Neu
Dem Maurer Schlössl sieht man die Erweiterung der Rudolf Steiner Schule straßenseitig nicht an, der Charakter des Bestands blieb zur Gänze erhalten. Im hinteren Garten schließt nun der L-förmige Neubau an, dessen Dach sich auch über den Altbau zieht und dadurch optisch aufwertet. In der Projektbeschreibung heißt es dazu: „Der Neubau verbindet sich harmonisch mit dem historischen Bestand – auf starke Brüche zwischen Alt und Neu haben wir verzichtet.“
Während für die Unterstufen bislang kein eigener Turnsaal zur Verfügung stand, bietet der Neubau nun eine große Sporthalle. Diese liegt zur Hälfte unter der Erde und wird über hochliegende Fensterbänder mit natürlichem Tageslicht versorgt.
Hohe Transparenz
Insgesamt ergibt sich ein klar strukturiertes Raumprogramm, das sich flexibel bespielen lässt. Ob Lern-, Spiel-, Sozial- oder Werkstattzonen, alle Bereiche bieten Gestaltungsfreiheit und können an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden.
Die Erschließung der neuen Klassenzimmer erfolgt über gartenseitige Laubengänge, im Inneren herrscht eine klare Zonierung. „Die hohe Transparenz des Neubaus bezieht nicht nur den Außenraum in den Schulalltag ein, sondern fördert auch die Kommunikation innerhalb des Gebäudes.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Kurt Hoerbst, Dietrich Untertrifaller
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